Bietigheimer Zeitung, Montag, 18. Jan. 2016
Flüchtlingssituation: Ein Marathonlauf Diskussionsrunde im Bissinger Schützenhaus
Um das Leben mit Flüchtlingen in Bietigheim-Bissingen ging es am Samstagvormittag im Bissinger Schützenhaus. Vereine und Initiativen stellten ihre Arbeit vor und erläuterten die Herausforderungen.
CHARLOTTE FAUL
Bietigheim-Bissingen.
85 000 Menschen haben laut der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg zwischen Januar und November 2015 in Baden-Württemberg einen Antrag auf Asyl gestellt. Im Rahmen der SPD-Jahrestagung am Samstagmorgen sprachen Vertreter der Flüchtlingsvereine, Diakonie und Initiativen.
Der Landtagsabgeordnete Thomas Reusch-Frey stellte die Zahlen für den Landkreis vor: 2015 kamen schätzungsweise 5500 neue Asylsuchende, für 2016 wird mit 8000 neuen Flüchtlingen gerechnet.
Was bedeutet das für die Stadt? Um solche Fragen ging es im Schützenhaus Bissingen. Diakon Rainer Bauer, Leiter der Diakonischen Bezirksstelle im Ort, berichtete von Sammlungen von Männerkleidern, Einkaufsgutscheinen und Rabattaktionen. Ziel für 2016: Möbel und andere Einrichtungsgegenstände sollen noch im Frühjahr ins Sortiment aufgenommen werden. Genauso wichtig ist für Bauer die Öffentlichkeitsarbeit – den Dialog suchen und vor allem bei die Bewusstseinsbildung bei Kindern und Jugendlichen.
Silvia Maier-Lidle, die beim Kreisdiakonieverband arbeitet, sagte: „Das Flüchtlingsthema ist kein 100-Meter-Lauf, sondern ein Marathon.“ Damit verdeutlicht sie, dass die Integration langfristig angelegt werden müsse. Wenn Asylbewerber das Bleiberecht bekämen, fehlten Fachkreise, die sich mit langfristigen Programmen beschäftigten. Es klappe nicht, wenn man sich nur um die neuankommenden Flüchtlinge in den Aufnahmezentren kümmert. Sie kritisiert außerdem, dass Asylbewerber, deren Antrag noch nicht bestätigt wurde, keinen Deutsch-Kurs bekämen.
Das führe zu unnötigen Konfliktsituationen in den Massenunterkünften. Lore Bernecker-Boley vom Freundeskreis Asyl beschrieb die Schwierigkeiten ihrer Arbeit. Beispielsweise sei der AK erst eineinhalb Tage vor der Einrichtung einer Massenunterkunft informiert worden. Dort fehle es meist an wesentlichen Dingen wie Handtüchern, einer Waschmaschine, und auch die ärztliche Versorgung sei nicht gewährleistet. Bernecker-Boley kritisiert, dass ein Notdienst bei den Behörden fehle. Als an Weihnachten neue Asylsuchende in Bietigheim-Bissingen ankamen, waren die Behörden geschlossen, sagte sie. Ein Ehrenamtlicher habe sich spontan bereit erklärt, 300 Flüchtlinge zu betreuen. Auch die Freizeitgestaltung sei wichtig, vor allem für die Flüchtlinge, die in Sporthallen untergebracht sind. Beim Tanzen oder Musizieren sei Bernecker-Boley vor allem eins auffallend: „Diese Lebensfreude, das ist sehr bewegend.“
Der Tafelladen in Bietigheim-Bissingen merkt noch nicht viel von der Flüchtlingen, erzählte Vorstandsmitglied Martin Gebler. Das liege auch daran, dass es in den meisten Unterkünften die Versorgung mit Lebensmitteln gebe. Allerdings nehme langsam die Zahl der einkaufenden Asylbewerber zu. Die bisherigen Kunden seien etwas besorgt, fragten sich, ob die Ware überhaupt reiche. Tatsächlich könnte dies zu einem Problem werden, so Martin Gebler: In diesem Monat seien bis jetzt circa 140 Kunden pro Öffnungszeit gekommen. Zurzeit könne der Tafelladen bis zu 170 stemmen. An mehr scheitere es vor allem wegen der Ware, aber auch Platz, Ehrenamtliche und Fahrzeuge fehlten. Bei der Flüchtlingsthematik findet Martin Geber: „Trotz der Mängel, es läuft viel im Landkreis.“
Große Probleme sieht er indes beim Wohnungsmarkt. Vom Engagement der Türkisch-Islamische Gemeinde in Bietigheim-Bissingen berichtete Murat Tigli. Da der Großteil der Flüchtlinge muslimisch sei, kümmere sich der Verein um sie. Besonders wichtig sei das Freitagsgebet, was in einer Sporthalle gemeinsam durchgeführt werde. Murat Tigli ist es wichtig, „den Muslimen das friedliche und produktive Miteinander zu zeigen. Dafür muss man die Flüchtlinge in ihrer Kultur abholen.“ Er wünscht sich, dass die berufliche Qualifikation besser ermöglicht wird.
„Uns ist es wichtig, beide Kulturen zusammen zu bringen“, bestätigte auch Simon Üzel. Er ist Vorsitzender im neu gegründeten Verein „Suryoye und Deutsche – Verein für Integration und Kultur“.